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Spielen im Wald regt die Fantasie an und entschleunigt. Das tut nicht nur Kindern, sondern auch den Erwachsenen gut. Gleichzeitig bietet sich der Waldbesuch an, um mit den Kleinen über dessen Bedeutung zu reden, ihnen spannende Geschichten zu erzählen und beim fantasievollen Spielen die Zeit zu vergessen.




In den Wipfeln ein sanftes Rauschen, Sonnenstrahlen, die durch das dichte Blätterdach fallen, hie und da das Zwitschern eines Vogels und mitten darin der kleine Tim mit seinen Grosseltern. Sie suchen im Wald nach verborgenen Schätzen, Haselnüssen, Beeren, Steinen und Zapfen. Tims Oma ist pensionierte Lehrerin und weiss, wie gut ein paar Stunden im Wald nicht nur ihrem Enkel, sondern auch ihr und ihrem Mann tun.


Alle Sinne aktivieren

Obwohl Tim noch klein ist, ist er mit grossem Eifer bei der Entdeckungsreise mit dabei. Auf einem Baumstamm entdeckt er Moos und unter einem Busch finden er und seine Grosseltern Haselnüsse. Dieses bewusste Beobachten, Wahrnehmen, Tasten und Fühlen wirkt sich positiv auf das Nervensystem und hilft zur Ruhe zu kommen. Kein Wunder, dass sich das japanische Konzept des Waldbadens, Shinrin Yoku genannt, auch immer mehr im Westen durchsetzt. Diese Methode ist in den 1980er-Jahren entstanden. Ziel dabei ist es, sich zu entschleunigen, zu entspannen und von den täglichen Stressoren zu lösen.


Ein Haus für Zottel und Zia

Zum bewussten Waldbaden ist Tim noch zu klein. Nicht aber zum Bauen von einem Zwergenhäuschen. Seine Oma hat vorsorglich ein gutes Messer, eine handgesponnene Flachsschnur, die sich wieder zersetzt und das Zwergenpaar Zottel und Zia eingepackt. Die beiden sind kleine gefilzte Püppchen, die sich wunderbar in einem Rucksack oder zur Not auch einer Tasche in den Kleidern transportieren lassen. Manchmal hilft es Kindern in eine Geschichte einzusteigen, wenn sie dazu einen Anhaltspunkt wie eben eine Puppe oder ein Holztier haben. Das weiss Tims Oma aus ihrer langjährigen Berufserfahrung als Lehrerin. Bereits zuhause hat sie Tim erklärt, dass sie nun in den Wald gehen und für Zottel und Zia ein Häuschen bauen wollen.


Rinde, Beeren, Nüsse

Bei den Wurzeln eines grossen Baumes findet sich der passende Platz für das Bauprojekt. Aus frischem Moos entsteht der Boden für das Haus und vier Stecken bilden ein stabiles Gerüst. Aus grossen Blättern, die Tims Oma mit der Flachschnur zusammenbindet, wird ein grosses Dach gebastelt, das den Zwergen Schutz bietet. Tim und sein Opa finden im Wald ein Stück Rinde, aus dem sie einen Tisch für Zottel und Zia bauen. Frische Beeren und die Haselnüsse werden zum Festmahl für das Zwergenpaar.


Ulme und Esche

Während Tims Oma das Haus fertig baut und der Kleine neben ihr am Boden Steine für den Zaun sammelt, der das Haus umgeben soll, denkt sie an die Geschichte von Esche und Ulme. Laut der nordischen Mythologie entstanden die ersten Menschen aus Stämmen, die an Land gespült wurden. Der Göttervater Odin hauchte ihnen Leben ein und formte aus dem Eschenstamm den Mann und aus dem Ulmenstamm die Frau. Seine Brüder schenkten den beiden Verstand und Gefühl und gaben ihnen die fünf Sinne Sehen, Hören, Fühlen, Riechen und Schmecken. Wenn Tim etwas grösser ist, will seine Oma ihm die Geschichte der Bäume erzählen und bewusst mit ihm darauf achten, was im Wald zu hören, zu sehen, zu fühlen, zu riechen und zu schmecken ist. Später werden sie vielleicht an einem nebligen Tag zwischen den Baumstämmen auch nach Feen Ausschau halten. An diesem Tag reicht es, dass sie dem Kleinen von den Abenteuern von Zottel und Zia berichtet, dass die Zwei eigentlich Waldzwerge seien, sich zu ihnen ins Haus verirrt hätten und nun gerne wieder im Wald leben möchten.


Hoch in den Wipfeln

Nachdem die Zwerge sicher im Haus untergebracht wurden, wird Tim müde. Sein Opa hebt ihn hoch auf seine Schultern. Der Kleine ist fasziniert von den Blättern und wie sie sanft im Wind bewegen. Er ist gerade genug abgelenkt, dass seine Oma still und heimlich Zottel und Zia aus ihrem Häuschen holen und in die Tasche stecken kann. Denn sie werden sicher auch beim nächsten Waldbesuch wieder mit dabei sein.





 

Für den Waldbesuch mit Kindern


Wer mit Kindern zum Spielen in den Wald geht, kann die Zeit auch nutzen, um mit ihnen über die Bedeutung des Waldes zu sprechen und ihnen zu erklären, wie wichtig der Wald als Lebensraum für zahlreiche Tiere und auch für unsere Umwelt ist. Es ist sinnvoll sie darauf aufmerksam zu machen, dass nicht unnötig Schaden angerichtet, Blätter abgerissen oder in Bäume geschnitzt werden sollte. Auch das Thema Abfall kann angesprochen und Dinge, die von anderen liegengelassen wurde, können in einem dafür mitgebrachten Sack eingesammelt werden. Neben diesem verantwortungsvollen Wahrnehmen des Waldes bietet sich auch das fantasievolle Spielen an. Auf einem Baumstamm wird ein Laden eingerichtet, in dem Steine, Schneckenhäuschen, Zapfen und bunte Blätter gekauft werden können. Aus Zapfen, in die Stecken hineingesteckt werden, wird eine kleine Tierherde und aus Blättern, die an einer Schnur zusammengebunden werden, entsteht ein hübsches Windspiel.



In einem Buch mit Weisheitsgeschichten aus Ost und West entdeckte ich kürzlich eine schöne Geschichte. Der Meister fragte einen Mann, ob er wisse, wie man Geschirr wasche. Dieser beteuerte, dass er dies sehr wohl wisse, er habe sein Leben lang nichts anderes gemacht. Worauf der Meister erklärte, dass es zwei Möglichkeiten gebe, Geschirr zu spülen: Die eine, es zu waschen, um es sauber zu machen; die andere, es zu waschen, um es zu waschen.




Unser Berufsleben ist darauf ausgerichtet, Ziele zu erreichen. Wir sollen erfolgreich und leistungsorientiert sein. Dabei geht jedoch oft vergessen, dass wir leben sollten, um zu leben, statt leben, um Besitz anzuhäufen. Es fällt uns schwer, ziellos zu sein und etwas zu tun, das nicht an ein Resultat gebunden ist. Davon können Frischpensionierte ein Lied singen. Plötzlich ist da Zeit zum Sein, doch der Kopf ist immer noch aufs Machen und Haben ausgerichtet. Ganz anders die Kinder. Sie verlieren sich im Spiel, sie vergessen die Zeit, sie machen sich keine Gedanken über ihre Kleidung und kümmern sich einen Hehl darum, was andere von ihnen denken. Kinder können es noch; sie verweilen im Sein.


Sein, das Seiende. Der Begriff kommt vom Verb sein. In der Definition von sein heisst es, dass das Verb einen, ihm zugrunde gelegten Seinsbegriff erfordert. Müde sein, lustig sein, stark sein. Oder auch Mensch sein, Weise sein, Bewusst sein. Daraus ergibt sich der philosophische Gedanke, dass das Sein ein Merkmal ist, das allem Seienden nach Abzug der jeweils individuellen Eigenschaften noch gemeinsam ist. Weisheit ist ein Seinszustand, lehrt auch der Mystiker Meister Eckhart. Ein Zustand, den man nicht durch Ansammlung von Erkenntnissen erlangen kann. Weisheit ist nicht zu haben, zu besitzen oder zu machen. Man kann nur weise sein, wofür es keinerlei intellektuellen Fähigkeiten braucht. Weisheit ist, laut Meister Eckhart, die wesensmässige Entwicklung des Menschen vom Haben, das Nichts ist, zum Sein, das Alles ist.


Vermutlich kennen Sie den berühmten Satz aus dem Stück Hamlet von William Shakespeare: «Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage». Der Protagonist Hamlet stellt sich existenzielle Fragen. Es geht um Leben und Tod. Derart dramatisch geht es im Alltag nicht zu und her. Und doch: Ist das Leben nicht oft ein Seiltanz zwischen dem Zustand des Seins und jenem des Nichtseins? Zwischen Ruhe und Stress, Stille und Lärm, Spiel und Arbeit? Der Zustand des Seins ist nur deshalb so beglückend, weil wir immer wieder ins Nichtsein kippen. Weil wir uns im Leben ständig vom Ungleichgewicht zum Gleichgewicht bewegen und uns ohne diesen ständigen Wechsel nicht fortbewegen würden.


Eine gute Methode, um in den Zustand des Seins zu kommen, ist die Meditation. Sobald wir das Tun, das Machen, das Handeln und das Denken hinter uns lassen, kommen wir zur Ruhe. Ins Sein im Hier und Jetzt, ins Atmen, ins Sitzen, ins Liegen. In die Gelassenheit und das Verweilen in der Stille. In der Achtsamkeitsmeditation geschieht dies über die Atmung, die Verbindung zum Körper und das Ruhigwerden des Geistes. Wir nehmen jegliche Aktivität aus dem System raus, befinden uns im natürlichen Atem, kontrollieren nicht, steuern nicht, lassen los was vergangen ist und vergessen was in der Zukunft zu tun ist. Sein ist der Zustand, in dem sich die Atmung und der Herzschlag verlangsamen.


Man muss nicht stundenlang meditieren, um im Alltag in den Zustand des Seins zu kommen. Auch ein Durchatmen beim Anstehen an der Warenhauskasse, ein Verweilen auf dem Gipfel eines Berges und der genussvolle Biss in eine saftige Wassermelone können Momente des Verweilens im Sein sein. Momente, die leicht, unbeschwert und frei sind. Momente, in denen alles was war und alles was kommen wird keine Rolle spielen. Momente des Seins erleben wir oft als Glücksmomente. Sie sind jedoch nicht dem Zufall überlassen. Wir haben es jederzeit selbst in der Hand, in den Zustand des Seins zu kommen:


1. Durch bewusstes Atmen: Setzen Sie sich hin, die Füsse auf dem Boden, und konzentrieren Sie sich nur auf den Atem und auf Ihre Fusssohlen. Atmen Sie aus und atmen Sie erst wieder ein, wenn ein Impuls des Körpers Sie zum Einatmen auffordert. Machen Sie das einmal täglich mit drei Atemzügen.


2. Durch Da-sein: Was gibt es Schöneres, als wenn ein Mensch für einen anderen da ist. Ein Freund oder eine Freundin, welche*r nichts will, nichts fordert, nichts beanstandet, sondern mit seiner*ihrer Präsenz ganz da ist? Versuchen Sie immer wieder, dieser Mensch zu sein, der für andere da ist. Umarmen Sie ihren Partner oder ihre Partnerin und sagen sie sich innerlich: «Ich bin da.» Atmen Sie.


3. Mit einer Klangreise: Musik dient häufig der Berieselung. Sie läuft im Hintergrund und begleitet uns durch den Tag. Nehmen Sie sich mal wieder die Zeit, sich hinzulegen und sich vollkommen einem Musikstück zu widmen, indem Sie nichts anderes tun als zuhören.


4. Beim Spielen: Der Name sagt es – mit Instrumenten lässt sich spielen. Setzen Sie sich ziellos an Ihr Instrument. Lassen Sie es erklingen, bringen Sie es zum Vibrieren. Lassen Sie die Noten beiseite. Gehen Sie mit dem Klang.


5. Beim Malen: Sie können nicht malen? Perfekt! Geben Sie einen drauf und nehmen Sie die Kreide, den Pinsel oder den Bleistift in die schwächere Hand. Malen Sie mit links. Es fühlt sich ungeschickt, ineffizient und nicht zielführend an. Doch es hilft, zu malen, um zu malen und nicht zu malen, um etwas darzustellen.


Keine Zeit eignet sich besser, um die Leichtigkeit des Seins auszukosten als der Sommer. Legen Sie sich in den Garten, auf die Wiese, in den Sand, auf einen Baumstamm und schauen Sie in den Himmel, in die Baumkronen oder lauschen Sie mit geschlossenen Augen in die Geräuschkulisse hinein. Alles andere kann warten.




Sabine Hurni arbeitet als Naturheilpraktikerin und Lebensberaterin in Baden, wo sie auch Ayurveda Kochkurse, Lu Jong- und Meditationskurse anbietet.

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